Maria Zelzer

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MARIA ZELZER

 

Weg und Schicksal einer fast vergessenen Historikerin von Hartmut Zelzer, Rolf Hofmann und Ottmar Seuffert

 

Wirklich vergessen wurde Maria Zelzer eigentlich nie. In ihren heute sehr wohl geschätzten Werken lebt sie auf wundersame Weise weiter, auch wenn niemand so recht weiß was aus ihr denn geworden sein mochte als sie Mitte der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts fast panikartig aus Stuttgart floh. Sie hatte zuvor, vielleicht allzu spät, noch mit Hilfe von alternativen Unterstützern die Drucklegung ihrer Forschungsarbeit "Stuttgart unterm Hakenkreuz" erreicht, nachdem ihr die offizielle Wertschätzung durch die Stadt Stuttgart versagt geblieben ist. Die Zeit danach war gekennzeichnet von rastloser Wanderschaft, bis dann 1999 Maria Zelzer in ärmlichen Verhältnissen in Bad Orb verstarb. Ihr Cousin Hartmut Zelzer hat sich die Mühe gemacht, ihren Lebensweg nachzuzeichnen, um ihr somit ein würdiges Denkmal zu setzen. Umfangreich ergänzende, lokalbezogene Beiträge stammen von Ottmar Seuffert (Donauwörth) und Rolf Hofmann (Stuttgart).

 

Maria Zelzer, 23 Jahre alt HERKUNFT UND STUDIUM Maria Zelzer wurde am 10. Oktober 1921 als Tochter des katholischen, deutschstämmigen Wilhelm Zelzer, einem Bahnbeamten im höheren Dienst, und dessen ebenfalls katholischer Ehefrau Maria, geborene Warta, in Pilsen in der Tschechoslowakei geboren. Sie besuchte dort von 1927 bis 1940 die deutsche Volksschule und das deutsche Realgymnasium. Nach sehr gut bestandenem Abitur folgte von 1940 bis 1944 das Studium der Geschichte und Staatswissenschaften, sowie Deutsch und Slawistik an der altehrwürdigen Deutschen KarlsUniversität zu Prag. Im April 1944 legte Maria Zelzer in Prag die Lehramtsprüfung zur Gymnasiallehrerin ab und promovierte im Juli desselben Jahres mit dem Dissertationsthema „Montesquieu’s Staatsideal“1 zum Doktor der Philosophie. Die Wahl des Dissertationsthemas zeugt von einem ausgeprägten politischen Selbstbewusstsein zu einer Zeit, als es sehr gefährlich war, den damaligen Machthabern einen Spiegel vorzuhalten. Baron de Monesquieu stand als bedeutender staatstheoretischer Denker in grosser Distanz zur herrschenden Allianz von absolutistischer Monarchie und katholischer Kirche im Frankreich des 18. Jahrhunderts. Er gilt als Vordenker der Französischen Revolution und der amerikanischen Verfasssung. Maria Zelzers Fähigkeiten auf wissenschaftlichem und pädagogischem Gebiet können sicherlich auch auf ihren Großvater Josef Zelzer zurückzuführen sein, der bis zu seiner Pensionierung Oberlehrer in Auherzen und Chräntschowitz in Böhmen war und 1940 in Mies, dem heutigen Stribro, verstarb. Im letzten Studienjahr 1943/44 wurde Maria Zelzer bereits an einer deutschen Oberschule für Jungen in Pilsen als Hilfslehrerin eingesetzt. Mit Ablauf dieses Lehrerpraktikums im April 1944 konzentrierte sie sich auf ihre Staatsexamina und Promotion. In der Beurteilung zu ihrem Hilfslehrerpraktikum hat man ihr wohl „antinationalsozialistische und antipreußische Unterrichtsweise“2 vorgeworfen. In Prag fand sie im Februar 1945 wieder eine neue Anstellung in der Hauptabteilung Erziehung und Unterricht der Landesbehörde Prag und wurde einer Oberschule in Písek, etwa 100 km südlich von Prag, als provisorische Gymnasialprofessorin zugeteilt, dies allerdings nur für drei Monate. Die Wirren des zu Ende gehenden Krieges und die damit einhergehenden Veränderungen in der Tschechoslowakei führten dazu, dass Maria Zelzer für die ersten Monate in ihrem Lehrerberuf kein Gehalt erhielt. Nicht viel besser erging es ihr dann nach Kriegsende, als die tschechoslowakischen Behörden ihre Wiedereinstellung nur aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur deutschen Volksgruppe verhinderten. Dr. Maria Zelzer war nun als promovierte junge Oberstufenlehrerin gezwungen, ab September 1945 ihren Lebensunterhalt in der Anwaltskanzlei von Dr. Švígler in Pilsen zu verdienen. Als jedoch im Herbst 1946 alle deutschstämmigen Bürger aus der Tschechoslowakei ausgewiesen wurden, musste sie mit ihren Eltern das Land verlassen.

 

HOFFNUNGSVOLLER NEUANFANG IN DONAUWÖRTH

 

Für die nächsten Jahre wurde Donauwörth in Bayerisch Schwaben ihre neue Heimat. Maria Zelzer fand dort Anstellung als Stadtarchivarin. Allerdings erwies sich die Neuorganisation des Archivs nach den Zerstörungen im 2. Weltkrieg als schwieriges Unterfangen. Die Luftangriffe im April 1945 hatten zwar dem Bahnhof und der Eisenbahnbrücke über die Donau gegolten, zerstörten leider aber auch den Kern der historischen Altstadt und beschädigten wesentliche Bestände des Stadtarchivs, die im Dominikanerinnenkloster St. Ursula in der Klostergasse ausgelagert worden waren. Frau Zelzer befasste sich neben der Neuorganisation des Archivs auch intensiv mit dem Aufbau des Heimatmuseums und dem Verlauf der Stadtgeschichte. Sie veröffentlichte 1958 einen ersten Band mit dem Titel „Geschichte der Stadt Donauwörth von den Anfängen bis 1618“. Zu einem zweiten, weiterführenden Band kam es dann nicht mehr, wohl auch aufgrund einer möglicherweise dissonanten Beziehung zum damaligen Donauwörther Bürgermeister mit brauner Vergangenheit. Es existierte hierzu lediglich eine inhaltliche Gliederung. Von großer Bedeutung war in dieser Zeit auch ein Beitrag von Maria Zelzer in der von dem angesehenen Privatgelehrten Götz Freiherr von Pölnitz begründeten Schriftenreihe "Lebensbilder aus dem Bayerischen Schwaben". Sie veröffentlichte dort eine Biographie zu Sebastian Franck3 , einem aus Donauwörth stammenden Zeitgenossen Martin Luthers, der sich wegen radikaler sozialkritischer Publikationen ständiger herrschaftlicher Verfolgungen ausgesetzt sah und dadurch ein unstetes Leben zu führen gezwungen war. Unter anderem verfasste Maria Zelzer für das Stadtarchiv Augsburg einen Beitrag zur Geschichte des am Rande von Augsburg gelegenen Ortes Göggingen. Diese Tätigkeit war zwar mit der Donauwörther Stadtverwaltung abgesprochen, führte jedoch zunehmend zu nicht mehr akzeptabler Abwesenheit und letztlich zum plötzlichen Ende des Dienstverhältnisses in Donauwörth. Belastend für Maria Zelzers Aufenthalt in Donauwörth und Augsburg waren unüberbrückbare Spannungen zwischen ihren in Augsburg lebenden Eltern. Maria Zelzer zog mit ihrer Mutter nach Stuttgart, nachdem die Scheidung der Eltern 1962 vollzogen war. Der Vater zog in ein Pensionistenheim nach Bad Aibling, wo er 1970 verstarb.

 

KOMPLEXER FORSCHUNGSAUFTRAG IN STUTTGART

 

Ab 1961 lebte Maria Zelzer mit ihrer Mutter in Stuttgart, wo sie bis 1968 Mitarbeiterin des Stadtarchivs war. Zu jener Zeit hatte sich die Stadt Stuttgart unter Leitung des 1. Bürgermeisters Josef Hirn um Kontakte mit den in aller Welt verstreuten ehemaligen jüdischen Mitbürgern bemüht. Maria Zelzer erhielt nun unter Josef Hirn, den sie sehr zu schätzen begann, den Auftrag zur Fortführung der bereits begonnenen Kommunikation und der Ausarbeitung einer Publikation zur Geschichte der Stuttgarter Juden. Diese Initiative wurde auch von Professor Ernst Guggenheimer begrüßt, einer der wenigen Menschen jüdischer Herkunft, die den Krieg in Stuttgart überlebt hatten. Sein Vater war um 1870 aus Harburg bei Donauwörth nach Stuttgart gekommen und hatte sich dort als Leinenhändler niedergelassen. Dem Baumeister Ernst Guggenheimer war es nach dem 2. Weltkrieg vergönnt, den Neubau der Stuttgarter Synagoge zu planen. Recht bald musste Maria Zelzer erfahren, dass sie wegen ihrer Recherche zum jüdischen Gedenkbuch immer stärker angefeindet wurde, zumal sie gleichzeitig mit der Materialsammlung für eine Chronik der Stadt Stuttgart für die Jahre 1933 bis 1945 beauftragt worden war und sich damit ganz zwangsläufig mit Biographien einflussreicher, mitunter vorbelasteter Persönlichkeiten befassen musste. Deren Verhalten im Dritten Reich sollte nun aber möglichst nicht allzu bekannt gemacht werden. Bereits im Februar 1962 erwähnte Professor Guggenheimer Schwierigkeiten, denen Maria Zelzer durch "hoffnungslos unbelehrbare Individuen mit unbewältigter Vergangenheit" ausgesetzt war. Er riet ihr damals noch zu stillschweigendem Übergehen. Allerdings sieht 1965 seine Einschätzung der Verhältnisse dann ganz anders aus. Nach all den schlimmen Erfahrungen der vergangenen Jahre empfahl er Maria Zelzer zu dringend benötigtem Urlaub und möglichst schnellem Wegzug von Stuttgart. Er erwähnt Wien als Stadt ihrer Träume. Diesen Rat nahm sie bedauerlicherweise nicht ernst genug. 1964 erschien Maria Zelzers Buch „Weg und Schicksal der Stuttgarter Juden“, das allerdings wegen unzureichender Vermarktung in Stuttgart nicht allzu viel Resonanz fand, ganz im Gegensatz zu den in aller Welt lebenden ehemaligen Stuttgarter Juden. Hans Georg Hirsch in Amerika, Sohn des in Stuttgart hochgeschätzten Otto Hirsch, nannte dieses Buch "einen hervorragenden Beitrag zur Wissenschaft des Judentums". Auch die Soziologin Emma Weil in London, die einer angesehenen Stuttgarter jüdischen Familie entstammt, lobte Maria Zelzers Engagement und gab dem Buch einen Ehrenplatz in ihrem Bücherregal. Sie war mit ihr persönlich verbunden und besuchte sie mehrmals in Stuttgart. Abgesehen davon ist Maria Zelzers Buch immer noch die einzige, umfassende Ausarbeitung zur Geschichte der Stuttgarter Juden und deshalb heute immer noch eine wertvolle Grundlage für alle, die sich mit diesem Thema befassen. Dieses Lob schmälert auch nicht die Erkenntnis, dass die eine oder andere Aussage in diesem Buch nicht ganz zutreffend sein mochte. Bei der Vielfalt der Themen und Quellen ließ sich das nicht vermeiden, zumal viele persönliche und durchaus subjektive Erinnerungen von Zeitzeugen Eingang in dieses zeitgeschichtliche Werk gefunden haben. Auch Moritz Gundelfinger, hochbetagtes Mitglied der jüdischen Gemeinde in Stuttgart, lobte Maria Zelzers Buch als "vorzügliche Erledigung dieser schwierigen Materie".

 

STUTTGART UNTERM HAKENKREUZ

 

Nach Erscheinen ihres Werkes zum Schicksal der Stuttgarter Juden standen Maria Zelzers Arbeiten an der Publikation zur Chronik 1933-1945 nicht mehr unter einem guten Stern. Von der Stadtverwaltung erwartete man „mehr Mut zum Weglassen“ und setzte damit Maria Zelzer unter massiven Druck, dem sie letzten Endes nicht gewachsen war. 1973 beauftragte der Stuttgarter Gemeinderat den 1968 bis 1985 amtierenden Stadtarchivdirektor Dr. Leipner mit der Erstellung einer Chronik für die Zeit von 1933 bis 1945, die jedoch lediglich eine sachlich unkommentierte Auflistung der Vorgänge in nationalsozialistischer Zeit sein sollte und so auch 1983 publiziert wurde. Dass diese Chronik erst 38 Jahre nach Kriegsende erscheinen konnte, spricht für sich. Nur eine knappe Mehrheit des Stadtrates votierte damals für den Druck dieser tausend Seiten umfassende Fleißarbeit, der es oft genug an kritischer Hinterfragung fehlt. Zum Beispiel wenn 1939 ein jüdischer Hausverkauf erwähnt wird, ohne den Zwang zu erwähnen, unter dem der jüdische Eigentümer gestanden hatte. Bereits im Oktober 1979 hatte die in Hamburg erscheinende Wochenzeitung DIE ZEIT einen kritischen Artikel zur Enstehungsgeschichte der Chronik 1933-1945 mit der Überschrift "Die braune Vergangenheit wurde ausgespart" versehen. Maria Zelzers Manuskript zu den Jahren 1933-1945 war inzwischen in irgendwelchen Schubladen städtischer Ämter "verschollen", nachdem Oberbürgermeister Dr. Klett es als nicht druckreif klassifiziert hatte und auch noch betonte, dass Frau Zelzer "schwierig" sei. Erst als sich eine Gruppe mutiger alternativer Unterstützer der Sache annahm wurde 1983 der Druck von Maria Zelzers Buch „Stuttgart unterm Hakenkreuz“ Chronik 1933- 1945 möglich. Treibende Kraft hierbei waren unter anderem die Stadträte Eugen Eberle und Wolfgang Cramer sowie Peter Grohmann, der auch das Vorwort zum Buch schrieb. Aufgrund des nicht mehr auffindbaren Originalmanuskripts musste jedoch erst mühsam aus Konzepten, Kopien und Ergänzungen ein zweites Manuskript erarbeitet werden. Wesentlichen Anteil an der Wiederherstellung des Manuskripts hatte die Historikerin Helga Merkel von der Universität Tübingen. Entstanden ist ein Lesebuch im besten Sinn des Wortes. Die von manchen erwarteten oder auch befürchteten Sensationen enthält diese Publikation jedoch nicht. Maria Zelzers in Prosaform verfasste Chronik unterscheidet sich wesentlich von der in diesen Jahren durch Roland Müller unter dem renommierten Stuttgarter Historiker Professor Dr. Eberhard Jäckel erarbeiteten Dissertation "Stuttgart zur Zeit des Nationalsozialismus" mit ihrem streng wissenschaftlichen Duktus und sachlich geprägten, umfangreichen Inhaltsverzeichnis. Im Unterschied zu Maria Zelzer hatte Roland Müller den Zweiten Weltkrieg und das Ende des Dritten Reiches nicht persönlich erleben müssen, war deswegen durch diese Zeit auch nicht emotional geprägt. Hinzu kommt, dass zur Zeit von Roland Müllers Recherche jene politisch-wirtschaftlichen Verbindungen sich schon längst etabliert hatten, die noch zu Zeiten Maria Zelzers um die Offenlegung ihrer Vorgeschichte fürchten mussten. Manch einer war inzwischen auch nicht mehr in Amt und Würden. Roland Müller hatte sich mit seiner ausgezeichneten Dissertation einen guten Ruf erworben und bewarb sich nach Referendariat und zweitem Staatsexamen für den höheren Archivdienst 1996 erfolgreich als Nachfolger für den damals ausscheidenden hochgeachteten Archivdirektor Professor Dr. Paul Sauer.

 

EIN RELATIV GUTES LEBEN IN ESSLINGEN

 

Die Drucklegung von "Stuttgart unterm Hakenkreuz" verschaffte Maria Zelzer 1983 eine späte Genugtuung, leider jedoch allzu spät. Maria Zelzer war zu diesem Zeitpunkt 62 Jahre alt und hatte den Zenit ihrer Schaffenskraft überschritten, zumal sie erschöpft war vom Zwist und Zank der letzten zwanzig Jahre. Zudem war 1982 ihre Mutter gestorben, mit der sie bis zuletzt in Stuttgart in enger Gemeinschaft zusammengelebt hatte und die ihr wohl auch emotionaler Rückhalt in schwerer Zeit gegeben hatte. Andererseits gestattete es diese starke lebenslange Bindung an die Mutter ihr nicht, eine andere lebenspartnerschaftliche Beziehung einzugehen. In Maria Zelzer hatte sich über die zwanzig Jahre ihrer Stuttgarter Zeit ein Gefühl von Bitterkeit breitgemacht, dasin einen immer stärker werdenden Verfolgungswahn mündete. Diese Entwicklung machte ihr einen weiteren Verbleib in dieser Stadt unmöglich. Das einzig Tröstliche war ihre Rente, die ihr ein einigermaßen akzeptables Auskommen ermöglichte. Sie verlegte ihren Wohnsitz nun nach Esslingen in die Altstadt dieser ehemals bedeutenden Freien Reichsstadt und lebte dort einige Jahre in einer Dachgeschosswohnung in der Krämerstraße, umgeben von Stapeln von Büchern und immer noch im Besitz ihres Mobiliars aus besseren Tagen. Sie mochte sich an glücklichere Zeiten erinnert haben, als sie einst die Biographie zu Sebastian Franck verfasst hatte, der eine Zeit seines unruhigen Lebens eben auch in Esslingen verbracht hatte, damals notgedrungen als Seifensieder, nachdem ihm die Esslinger weiteres sozialkritisches Schreiben verboten hatten. Reges Interesse zeigte Maria Zelzer für die Esslinger Friedensbewegung, an deren regelmäßigen Mahnwachen vor der Nikolauskapelle sie teilnahm und deren Plakattafeln bei sich im Keller lagerte. Man empfand Frau Zelzer in irgendeiner Weise als außergewöhnlich, auch ironisch, skurril und verschlossen. Sie war mutig und sehr kritisch in ihrer politischen Einschätzung, legte Wert auf ihr Äußeres und trug fast immer Umhang und Hut. Dass Maria Zelzer in mancher Beziehung eine Grenzgängerin war, wurde dann den Mitgliedern der Friedensbewegung schnell klar. Nicht wenige waren in Sorge, dass sie persönlich schwierigen Zeiten entgegen gehen könnte. Ihr Abschied von Esslingen war dann naturgemäß tatsächlich merkwürdig, indem sie in schnellem Wechsel von der Krämerstraße in zwei andere Wohnungen zog und beide aufgrund von Differenzen mit Hausbewohnern schnell wieder verließ.

 

AUF DER FLUCHT

 

Als Maria Zelzer dann endlich Anfang der 90-er Jahre aus Esslingen wegging, hatte ihr Leben eigentlich kaum noch Inhalt und Sinn. Sie wollte zunächst nach Holzkirchen, entschied sich aber aus "beruflichen" Gründen für Stuttgart und bezog eine Wohnung in der Haußmannstraße am Ostendplatz, ist dort aber auch nicht mehr so recht glücklich geworden. Sie war getrieben von der Fertigstellung ihres Manuskripts über Lebensbilder Stuttgarter Politiker mit dem Thema "Landtag und Oberbürgermeister", das sie vor langer Zeit begonnen hatte, jedoch dann letzten Endes nie mehr druckreif fertigstellen sollte. Die schlimmen Erinnerungen an ihre Stuttgarter Jahre bestärkten immer mehr in ihr die Vermutung, man wolle ihre Forschungsunterlagen aus ihrer Wohnung entwenden. Ihre Verdächtigungen gegenüber Anderen hatten ihr schon in Esslingen Ärger bereitet, und so auch jetzt wieder in Stuttgart. Ende 1994 war es dann so weit, dass sie einen grossen Teil ihrer Sachen an Bekannte zur Aufbewahrung abgegeben hatte und ihren Wohnsitz in der Haußmannstraße aufgab. Eine Zeit lang suchte sie Geborgenheit im Bayerischen Bad Tölz. Sie war jedoch auf der Flucht, und innere Unruhe ließ sie auch dort nicht lange verweilen. 1997 war sie wieder in Stuttgart, wurde von Amts wegen für schizophren erklärt und unter vormundschaftliche Betreuung gestellt, was sie natürlich niemals zu akzeptieren bereit war. Es lässt sich bedauerlicherweise nicht mehr nachvollziehen, wie es zu dieser tragischen Entwicklung kam, da diesbezügliche, amtliche Akten nicht mehr vorhanden sind. Und wieder verlegte Maria Zelzer ihren Wohnsitz, diesmal ins hessische Bad Orb, wo sie in früherer Zeit mit ihrer Mutter zusammen einmal im Urlaub gewesen war und noch gute Erinnerungen an jene Tage hatte.

 

LETZTE GLÜCKLICHE ZEIT IN BAD ORB

 

Es sieht so aus, als ob sie dort zunächst lediglich ein paar Wochen hatte bleiben wollen. Sie lebte in einer Pension und wohnte dort endlich auf Dauer. Grund hierfür war wohl die Bekanntschaft mit einem netten älteren Herrn, der ihre immer noch lebendigen geistigen und kulturellen Interessen teilte und der sie rückblickend als liebenswürdig und gebildet beschreibt. Gemeinsam besuchten sie Konzerte und trafen sich zum Essen und harmonischen Gesprächen in Restaurants. Maria Zelzer muss sich in der letzten Zeit ihres Lebens in Bad Orb zum ersten mal seit langem etwas wohl gefühlt haben, sah sich jedoch auch weiterhin politisch verfolgt und angegriffen. Immerhin hatte sie nun für kurze Zeit einen Gesprächspartner, der ihre musischen und gesellschaftlichen Interessen jenseits aller Forschungsarbeit teilte. Ein wenig konnte Maria Zelzer damit an das bunte Leben ihrer Kindheit anknüpfen, als sie bei Theaterstücken mitwirkte und als Sängerin öffentlich auftrat. Sie muss ein fröhliches Kind gewesen sein, das voll Optimismus in die Zukunft geblickt haben dürfte. Man spürt das bei der Betrachtung eines Fotos, das 1944 von ihr anlässlich der Feier ihrer erfolgeich abgeschlossenen Dissertation aufgenommen wurde. Sehr hübsch und fast etwas schelmisch blickte sie damals in die Kamera, nicht ahnend welches Schicksal ihr widerfahren sollte. Viel Schöngeistiges war in ihr angelegt, das nicht zum Tragen kommen sollte, bedingt wohl in erster Linie durch die Bedrohung während Krieg und Vertreibung, dann wohl auch durch die in Stuttgart gewonnene schockierendeErkenntnis, dass in Folge des Neoliberalismus der Nachkriegszeit große Teile der NS-Eliten ihren Platz in allen wesentlichen gesellschaftlichen Bereichen wieder eingenommen hatten. Als sie am 4. August 1999 in ihrem Pensionszimmer in Bad Orb völlig überraschend verstarb, war Maria Zelzer praktisch mittellos. Sie erhielt auf Initiative des dortigen Pfarrers und des schon erwähnten Gesprächspartners aber wenigstens noch ein würdiges Urnenbegräbnis. Hinterlassen hat Maria Zelzer nur einen alten Koffer, gefüllt mit einer unsortierten Ansammlung von wirren Manuskriptzetteln, Ideen für weitere Forschungen und persönlichem Schriftverkehr aller Art, manches davon durchaus von biographischem Wert. Merkwürdig ist hierbei die Tatsache, dass das bereits erwähnte Manuskript zum Themenkreis "Landtag und Oberbürgermeister" nicht mehr im Nachlass vorhanden war, es muss wohl irgendwie "abhanden gekommen" sein. Merkwürdig ist ferner im nachhinein auch die Tatsache, dass Maria Zelzer zwar im katholischen Glauben aufgewachsen war, ihr Glaubensbekenntnis am Ende ihres Lebens in der Sterbeurkunde aber evangelisch vermerkt steht. Spirituelle Heimat waren ihr im Laufe ihres Lebens die "Böhmischen Brüder" geworden, eine um 1457 in Böhmen entstandene religiöse Gemeinschaft, die sich auf den 1415 in Konstanz als Ketzer verbrannten Reformator Jan Hus bezog. Die "Böhmischen Brüder" standen in starkem Widerspruch zur Römisch-Katholischen Kirche, was zwangsläufig dazu führte, dass sie im 18. Jahrhundert den Einflussbereich der Österreichischen Herrschaft verließen und Asyl bei Graf Zinzendorf und dessen Gut in der Oberlausitz suchten. Hieraus entstand die Herrnhuter Kolonie "Unter der Obhut des Herrn". Maria Zelzer hat immer wieder betont, dass bei den "Böhmischen Brüdern" in Wien für sie Räumlichkeiten zur Verfügung stünden, in die sie sich jederzeit zurückziehen könne und wo man für sie sorgen würde. Es sollte jedoch anders kommen.

 

EPILOG

 

Vieles im Leben von Maria Zelzer bleibt verborgen. Zeitzeugen und Quellen sind wenig ergiebig, was auch daran liegt, dass sie sich immer mehr von dieser Welt zurückgezogen hatte. Ein wesentliches Element im Werdegang ihres Schaffens gilt es jedoch zu betrachten, das im Laufe der Zeit in Vergessenheit geriet. Schlüssel hierzu ist Maria Zelzers Biografie über Sebastian Franck, jenem unsteten humanistischen Gelehrten und leidgeprüften Zeitgenossen Martin Luthers, dem sie sich sowohl in Wahlverwandtschaft, als auch in unbewusster Vorahnung ihres eigenes Schicksals, verbunden fühlte. Die sensible Sprachgestaltung dieses 1958 in der Reihe "Lebensbilder aus dem Bayerischen Schwaben" publizierten Epos erinnert im Ansatz an große Erzähler Osteuropas. Die sehr bewusst gestaltete, oftmals inhaltsreiche Wortwahl und Gedankenfolge eigener Art führt weg von der schlichten chronologischen Betrachtung und hin zum emotionalen Verständnis der geschilderten Persönlichkeit Francks. Diese Darstellungskunst holt den Leser in die Welt des Erzählers und ermöglicht ihm fühlendes Verstehen jenseits des Intellekts. Ausgestattet mit solchen seltenen Talenten hätte Maria Zelzer in Stuttgart viel Segensreiches bewirken können, wenn man sie in ihrer Art hätte begreifen können und ihr die Möglichkeit gegeben hätte, das in ihr wesenhaft Angelegte auszugestalten. Aber sie hat es Anderen ja auch nicht gerade leicht gemacht, sie zu verstehen. Es ist viel Gras gewachsen über die Turbulenzen der sechziger und siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Posthum eine gewisse Genugtuung mag für Maria Zelzer die Tatsache sein, dass ihr Schaffen inzwischen allgemein anerkannt wird, insbesondere auch wahrnehmbar an der häufigen Erwähnung im Internet. Ihre Bücher sind heute selten angebotene antiquarische Raritäten. Die Dissonanzen von einst sind inzwischen fast vergessen. Aber auch die Erinnerungen an ihre einflussreichen Gegner sind verblasst.