Wien, am 23. XI 40

 

Liebe gnädige Frau!

 

Besten Dank für Ihren lieben Brief. Bitte entschuldigen Sie, daß ich erst so spät antworte, es ist nämlich eine dumme Geschichte dazwischen gekommen, die Ihnen Uri erzählen wird, sobald er auf Heimaturlaub kommt. Er sollte ja schon längst da gewesen sein, andere haben in der Zeit schon dreimal Urlaub gehabt. Aber Kameraden von ihm, die abgerüstet haben, es sind das die große Mehrzahl, erzählten mir telephonisch, daß sie einen, bzw. zwei ganz fürchterliche Vorgesetzte haben, die ihre tyrannischen Ambitionen auch in möglichst wenig Urlaub zum Ausdruck bringen. In letzter Zeit haben wir nämlich äußerst viel Pech. Wären die Vorgesetzten nicht so, wäre er möglicherweise schon längst auf ein ganzes Jahr vom Militär weg und dürfte fertig studieren. Nun ist diese eingangs erwähnte dumme Geschichte dazwischen gekommen, die ein Studium während des Krieges wohl ganz unmöglich macht.

Für mich ist es deshalb so schwer, weil ich sehe, wieviele Studenten, wohl 99 %, Studienurlaub erhielten. Bei seiner Kompanie bekamen von 4 nur einer Urlaub. Das ist doch schon ein Pech, daß er ausgerechnet bei einer solchen Kompanie sein muß. Auch ist der größte Teil seines Regiments schon seit Monaten wieder hier. Zuerst kamen die zurück, die zuletzt an die Front kamen, bekamen gleich Heimaturlaub und sind jetzt in N.Ö. stationiert. Dabei bemühe ich mich so und kann absolut nichts ausrichten. Hier ist jetzt eine entsetzliche Zigarettenknappheit. Ich als Mädel bekomme gar keine mehr, höchstens 10 Stück pro Woche in unserer Stammtrafik. Mein Vater läuft jetzt täglich von einer Trafik zur andern und bekommt so überall 3 Stück durchschnittlich. Die werden in Schachteln gesammelt. Jetzt sammle ich einmal so viele als er im Urlaub brauchen wird. Sonst habe ich ihm allwöchentlich 50 Stück geschickt, diese Woche bekam ich nur 25 Stück.

Jetzt kommt schon wieder bald Weihnachten und es ist bald ein Jahr, daß er beim Militär ist, aber dann wird die Zeit noch schneller vergehen und der Sommer da sein, der Sommer, vor dem ich so fürchterliche Angst habe.

 

Herzliche Grüße an alle.

 

Ihre Helga