Die Familie Rubin

Es war am 12. April 2002, als ich auf dem Wiener Zentralfriedhof das Grab von Rebekka und Naftali Rubin fand. Im gleichen Grab drei ihrer Töchter und deren Ehegatten. Neue Namen, neue Hinweise. Die Grabnummer und die letzte Wohnadresse der Rubins hatte ich in der Friedhofsverwaltung bekommen, denn inzwischen waren Namen und Grabnummern digitalisiert worden. Bisher war über die Familie wenig bekannt. Viele Töchter, ein Sohn, zwei Töchter konvertiert. Die Konversionen schienen zu einem Bruch in der Familie  geführt zu haben. Die Großmutter Josefine Mittelberger dürfte wenig über ihre Großeltern Naftali und Rebekka erzählt zu haben. Kontakt gab es zu Amalie Rubin, ein paar Fotos, ein paar Briefe. Die Naziherrschaft dürfte das ihre zur weiteren Zerstreuung der Familie beigetragen haben.

Durch die letzte Adresse in der Floßgasse ergaben sich plötzlich neue Möglichkeiten der Suche. Frau Weiss und Herr Eckstein von der Wiener Kultusgemeinde "rekonstruierten" die Familie Rubin detailreich. Von ihnen kam auch der Tip, im Wiener Landesarchiv die Todfallaufnahmen zu einzusehen.

Diese Aufnahme ist das einzige erhaltene Bild von Rebekka Rubin. Es ist in mehrfacher Hinsicht aufschlußreich. Der Fotograf Conte Hippolyt Lafranchini aus Venedig eröffnete ab 1867 einige Fotoateliers in Wien. Rebekka war also um die fünfzig, als dieses Bild entstand. Es zeigt uns eine aufgeschlossene, stolze Frau. Die dunkle Haarfarbe und die Präzision der Frisur lassen auf eine Perücke schließen, was der jüdischen Tradition entspricht. Kopfschmuck, Ohrhänger, Spitzenkragen und Halstuch deuten auf einen festlichen Anlaß. Ein solcher Anlaß könnte die zweite (offizielle) Heirat mit Naftali am 10. Dezember 1876 gewesen sein, mit der die inzwischen erwachsenen Kinder als eheliche Kinder legitimiert wurden. Allerdings bleibt dann die Frage, warum Rebekka und Naftali nicht als Paar für die Aufnahme posiert haben.

So wie sich Rebekka auf im Bild präsentiert, darf man durchaus vermuten, daß sie die Auswanderung betrieben und die gehobene Ausbildung ihrer Kinder in Wien forciert hat. Sicher hatten sie nicht das Vermögen, um mit einer stattlichen Mitgift attraktive Ehemänner für die sieben Töchter zu interessieren. Es blieb also nur der Weg über die Bildung. Schaut man die Partien der Töchter an, müsste man konstatieren, der Plan sei aufgegangen. Nicht damit gerechnet haben Rebekka und Naftali, daß drei der Töchter konvertieren und Christen heiraten würden.

Man soll sich von den Altersangaben in der Todfallaufnahme nicht irritieren lassen. Sie sind überwiegend falsch und erwecken den Eindruck, der Notar habe sich die Zahlen nach Gutdünken ausgedacht. Abgesehen davon, daß  Adele zu Angele wird, wäre ihre Mutter Rebekka bei Adeles Geburt 48 Jahre alt gewesen.

Gehen wir davon aus, daß wenigstens die Anzahl der Kinder richtig erfaßt wurde.

 

 

 

 

 

Naftali Rubin heiratet am 4. April 1843 Riwke (Rebekka) Aschkenasy nach jüdischem Ritus. Weil es zu dieser Zeit nicht üblich ist, die Braut bei der Hochzeit nach ihrer freien Willensentscheidung zu fragen, werden sie 33 Jahre später in Wien noch einmal „amtlich“ heiraten, damit ihre Kinder nicht als unehelich gelten. Da in den Matrikeln von Brody keine Einträge über die Hochzeit von Rebekka und Naphtali und die Geburt der ersten Tochter Caroline zu finden sind, dürften sie in Buczacz geheiratet haben.

Das Alter der Brautleute gibt uns Rätsel auf, denn Rebekka war bei der Heirat bereits 22 Jahre und Naftali 35 Jahre alt. Auch das ein Hinweis, daß Naftali längere Zeit vor der Rekrutierung geflüchtet ist.

 

Das Grab von Naphtali und Rebekka Rubin, den Töchtern Caroline und Rosa und deren Ehegatten Emil Feigenbaum und Jacob Obst befindet sich am Wiener Zentralfriedhof

Tor 1 Gruppe 19 Reihe 11 Grab Nr. 81.

 

Zwischen 1845 und 1869 bringt Rebekka (Riwke) Rubin 10 Kinder zur Welt.

 

Caroline

geb. 1845

 

Fradel Feige

geb. 12.2.1846 in Brody

gest. 8.3.1846

Rosa

geb. 1.5.1847 in Brody

 

Antoinette Taube

geb. 12.4.1850 in Tarnopol

 

   

Hermine

geb. 1856 in Wien 

 

 
 

Samuel Aron (Arnold)

Eugenie (Jenny)

geb. 23.4.1857 in Wien 

 

geb. 10.5.1859 in Wien

 

Emma

geb. 1861

 

Amalie

geb. 1863 in Wien

 

Adele

geb. 27.7.1867 in Wien

 

 

 

 

 

 

Naphtali Rubin arbeitete als Tempeldiener (Schammes). Da dies die unterste Funktion in einer Synagoge ist, wird die Familie nicht sehr vermögend gewesen sein.

 

Anhand der Geburtsorte der Kinder lässt sich die Zeit, in der die Familie Rubin nach Wien-Leopoldstadt zugewandert ist, auf die Jahre zwischen 1850 und 1855 eingrenzen. Zuvor dürfte die Familie Rubin in Tarnopol gelebt haben, denn dort wurde 1850 die Tochter Antoinette geboren. 

 

Die Rubins wohnten unter anderem 1867 in der Kleinen Ankergasse 2, in der Oberen Donaustraße 57, in der Kleinen Schiffgasse 20 und schließlich in der Floßgasse 3.

 

Vieles deutet darauf hin, dass in der Familie Rubin ein liberaler Geist herrschte. Auf dem einzig erhaltenen Foto trägt Rebbekka Rubin Schmuck und vornehme Kleidung.  Auch war es zu dieser Zeit für orthodoxe Juden eher verpönt, Galizien zu verlassen.

Die Kinder tragen deutsche oder französische Vornamen, so als wollte man sie auf ein assimiliertes Leben in einer liberalen bürgerlichen Gesellschaft vorbereiten. Alle Kinder genossen eine vergleichsweise gute Bildung (Bürgerschulen, Lehrerbildungsanstalten).

 

In den Lebensgeschichten der Kinder zeigt sich ein faszinierendes Spektrum an Lebensentwürfen, welche alle die Aufbruchsstimmung im ausgehenden 19. Jahrhundert wiederspiegeln. Wie weit diese Entwicklungen gehen, zeigt sich am Beispiel von Rosa Rubins Tochter, Zerline Feigenbaum-Fabri, die im Zionistischen Frauenverein engagiert und dort u.a. mit Julie Herzl bekannt war und unter anderen mit Friedrich Nietzsche korrespondierte. 

 

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Caroline Rubin wurde 1845 oder 1846 in Brody geboren. Sie hat als Kleinkind die Auswanderung der Familie nach Wien miterlebt. 1862 heiratet sie den Handelsagenten Jacob Obst. Sie wohnen im 2. Bezirk in der Schiffamtsgasse 5. Jacob stirbt am 26. Oktober 1907 und Caroline stirbt am 6. März 1924 im Israelitischen Spital. Beide sind im Rubin-Grab auf dem Zentralfriedhof Tor 1/G 19/R11/Nr 81 beerdigt. In den Matriken der Kultusgemeinde lassen sich keine Nachkommen finden. >> weiterlesen

 

Rosa Feigenbaum, geb. Rubin

Geb. 1847, heiratete den Börsebesucher Emil Feigenbaum (1843 – 12.2.1909). Wie ihre Schwester Caroline Rubin lebte sie mit ihrem Mann in der Schiffamtsgasse 5. Von den vier Kindern überlebte nur Zerline. Die anderen drei Kinder Friedrich, Otto und Elsa starben im Alter von fünf, vier und zwei Jahren, alle drei im März 1879 innerhalb einer Woche. Rosa stirbt am 10. Februar 1912 in Paris. Zehn Jahre später wurde ihr Leichnam exhumiert und in das Familiengrab auf dem Zentralfriedhof überführt. Zerline nahm später den Namen ihrer Tante Hermine Fabri an. Rosa Feigenbaum lebte um die Jahrhundertwende als Journalistin in Paris. >> weiterlesen

 

*Zerline Feigenbaum. Rosa Feigenbaums einzige überlebende Tochter Zerline Feigebaum wurde am 10. November 1871 geboren. Im Namen Zerline verbinden sich die Welten der Mutter Rosa. Zerline ist ein Vorname im Ostjudentum und 1851 taucht er in der Oper "Zerline, ou La corbeille d´oranges" des französischen Komponisten Daniel Auber auf. Die erhalten gebliebenen Informationen über Zerline Feigenbaum sind äußerst bruchstückhaft, in ihrer Zerstreutheit liegt wiederum eine eigene Faszination. >> weiterlesen

 

Antoinette Glaubauf, geb. Rubin. 

(geb. 12 4. 1850) Obwohl über Antoinette im Gegensatz zu ihrer umtriebigen älteren Schwester Rosa wenig bekannt ist, ist sie der Ausgangspunkt für einen faszinierenden Zweig der Familie Rubin. In den Lebensläufen ihrer Nachkommen spiegelt sich die Tragik der Epoche zwischen 1900 bis 1945. Sie glänzten in der Welt der Musik, waren geschäftlich erfolgreich, sie waren politisch engagiert und als Juden verfolgt. Einigen gelang die Flucht, andere wurden in Konzentrationslager gesperrt. Ein Enkel wurde von den Deutschen in Paris gefangen und 1942 in Berlin-Plötzensee hingerichtet. >> weiterlesen

 

Hermine Fabri, geb. Rubin

Geb. 1856, heiratete Ignaz Fabri (Todesanzeige) und führte mit ihm ein Uhren- und Optikgeschäft im Haus Kärntnerstaße 51, Wien I. Gewohnt haben sie in der Elisabethstraße 5. Hermine Fabri starb am 10. April 1929 (Todesanzeige). Drei Wochen vor ihrem Tod  übergab sie mit einem Codizill das Geschäft an ihrem Sohn Paul Fabri (1878 – 1931) und verfügte unter anderem, ihre Asche solle zu Füßen ihrer Mutter beigesetzt werden. Ihre Tochter Hedwig Fabri heiratete Alexander Jabloner. >> weiterlesen

 

Jenny (Eugenie) Weiss, geb. Rubin wurde am 10. Mai 1859 geboren. Sie absolvierte eine Lehrerinnenausbildung. Am 22. November 1885 heiratete sie in der Pfarre St. Josef in Wien-Margarethen Jakob Anton Weiss. Drei Tage vor der Hochzeit trat sie zum „christkatholischen“ Glauben über. Ihr einziges Kind Josefine kam am 31. August 1886 zur Welt. >> weiterlesen

 

Emma Arnold, geb. Rubin (geb. 1861) wohnte mit ihrem Mann Isidor Arnold (geb. 25. 11. 1865), Reisender Kaufmann, bis zum 4.8.1939 in Wien 9, Hörlgasse 12. Kurz waren sie noch in der Pension „Atlanta“ in der Währingerstraße gemeldet. Der Aufenthalt in der Pension Atlanta ist ein deutlicher Hinweis, dass Emma und Isidor aus ihrer Wohnung vertrieben worden waren. In der Pension Atlanta gab es zu dieser Zeit viele Juden, die auf eine Ausreisemöglichkeit warteten. Ihre Namen scheinen in den Deportationslisten des DÖW[2] nicht auf. Vielleicht ist ihnen die Ausreise geglückt. Ihr Sohn Fritz (geb. 10.12.1904) starb am 31.8.1934 in Eisenkappl in Kärnten.>>weiterlesen

 

Aron Arnold Rubin (1857-1930) war als k.u.k. Militärrechnungsoberofficial unter anderem auch in Sarajewo stationiert. 1887 heiratete er im Stadttempel Ernestine Jerusalem (geb. 22 April 1861, aus Wotiz / Tschechien). In den Matriken sind zwei Söhne eingetragen: Richard, geb. 1890 und Karl Oskar, geb. 1893. Von 1910 an wohnte die Familie in Wien 9, Liechtensteinerstraße 119.

Arnold Aron starb 1930, Ernestine wurde im August 1942 nach Theresienstadt deportiert und kam im Lager Maly Trostinec um. >> weiterlesen

 

 

Amalie Price, geb. Rubin (geb. 1863) konvertierte ebenfalls zum Christentum. Sie heiratete als 20-jährige den um 36 Jahre älteren Solotänzer und Ballettmeister Julius Price (1833 – 1893). Die Konversion und diese Heirat dürften Familie Rubin ziemlich belastet haben. Amalie hatte mit ihrer Schwester Jenny sehr engen Kontakt.

Ihre Tochter Rosa Price (geb. 29.7.1891) war mit Max Weissgärber (1886 – 1951) Geiger bei den Wiener Philharmonikern und Mitbegründer des Fitzner- Quartetts, verheiratet. Weitere Nachkommen sind nicht bekannt. >> weiterlesen

Adele Deisinger, geb. Rubin wurde am 27. Juli 1867 geboren. Sie wurde zur Bürgerschullehrerin ausgebildet. Mit siebenundzwanzig Jahren trat sie aus dem Judentum aus, vermutlich um den Bürgerschullehrer Josef Deisinger heiraten zu können. Josef Deisinger ist als Verfasser von Lehrbüchern für Mathematik und Physik bekannt geworden. Seine Werke sind in Antiquriaten immer noch erhältlich.

Adele führte eine private Sprachschule für Englisch und Französisch. Ihr Name wird noch als Autorin einer Broschüre und Lichtbildervortrages von 1921 über die "Zweite Franz-Josefs-Hochquellenleitung" erwähnt. Zuletzt wohnte Adele Deisinger in der Halbgasse. Sie starb am 20. Februar 1942 und wurde auf dem Zentralfriedhof beim Tor 4 in der Abteilung 20D beigesetzt. Diese Abteilung war von den Nazis eigens für die sogenannten „Juden-Christen“ angelegt worden.

 

In einer gemeinsamen Gedenkstunde zur Pogromnacht wurde am 9. November 2003  von Oberrabbiner Chaim Eisenberg und Kardinal Schönborn an das Schicksal der verstorbenen Konvertiten erinnert. Die Deisinger Nachkommen >> weiterlesen