Anna und Walter Deisinger - die Naturwissenschaftler

Adeles Todfallaufnahme enthält nur dürre Informationen zur Verstorbenen. Dafür illustriert das Dokument die Absurdität des herrschenden Rassismus. Adele bekommt noch als Tote den nach den Nürnberger Gesetzen vorgeschriebenen Zweitnamen "Sara". Bei der Todfallaufnahme wird die Familie durch Adeles Schwägerin Anna Kerschagl (geb. Deisinger) vertreten. Der Sohn Walter konnte wahrscheinlich kriegsbedingt nicht nach Wien reisen, aber daß die Tochter Anna dem Termin fernblieb, läßt schon auf die Befürchtung schließen, als sogenannte "Mischlinge 1. Grades" bei der Amtshandlung im Notariat rassistischen Erniedrigungen ausgesetzt zu sein.

Dieses Bild illustriert nicht nur das Buch "Naturlehre für Bürgerschulen", erarbeitet von Konrad Kraus und Josef Deisinger, es illustriert auch das Ambiente in welchem Anna und Walter Deisinger (Enkel von Rebekka und Naftali Rubin) vermutlich aufgewachsen sind.

 

Anna Elisabeth Deisinger (geb. 28.10.1895) war Lehrerin an der Hauptschule in der Muthgasse. Sie heiratete den sechs Jahre jüngeren Adolf Meier, wurde aber offensichtlich sehr bald wieder geschieden, denn Adolf Meier starb neunundzwanzigjährig am 10. November 1930 in Wien. 1935 nahm Anna wieder ihren Mädchennamen Deisinger an. Während der Nazizeit hatte Anna Deisinger Berufsverbot. Vom 12. Juli 1934 bis 1947 war sie in Wien, Lerchenfelderstraße 120/35 gemeldet.  

1974 wird vom Naturhistorischen Museum ein Nachruf für die Geologin Marta Cornelius-Furlani veröffentlicht. Darin wird mehrfach auf ihre Freundin Anny Deisinger Bezug genommen. Anny Deisinger hat die Geologin häufig auf ihren Reisen begleitet und sie nach ihren Unfällen aufopferungsvoll gepflegt.

 

Von Walter Deisinger existiert ein Lebenslauf, der von der DIN-Gesellschaft zu seinem sechzigsten Geburtstag verfaßt wurde.

 

Geboren am 19.09.1903 in Wien,

Besuch der Oberrealschule in Wien-Schottenfeld,

Studium an der TH Wien, abgeschlossen 1925 mit der zweiten Staatsprüfung (Maschinenbau)

Im Jahre 1927 Promotion zum Doktor der technischen Wissenschaften

Seit 1923 wissenschaftliche Hilfskraft, seit 1925 Assistent bei Prof. P. Ludwik, Lehrkanzel für mechanische Technologie und technische Versuchsanstalt an der TH Wien bis Sommer 1928

Anschließend kurze Tätigkeit bei der Werkzeugmaschinenfirma Ernst Krause & Co in Wien

Im April 1929 Übertritt zu den Siemens-Schuckertwerken in Berlin, Laborarbeit und betriebliche Aufgaben im Metall und Kabelwerk der Siemens-Schuckertwerke AG,

1939 Leiter des Metallwerks der Siemens-Schuckertwerke in Berlin-Gartenfeld

Anfang 1945 Bestellung zum Vorstandsmitglied der Vakuumschmelze AG in Hanau

Seit Anfang der 30-iger Jahre Mitarbeit an der Normung der Nichteisenmetalle

Von 1949 bis 1958 Vorsitzender des Fachnormenausschusses Nichteisenmetalle, seither Ehrenvorsitzender

Seit 1953 Mitglied des Präsidiums des Deutschen Normenausschusses

Seit 1957 Präsident des Deutschen Normenausschusses

In den Jahren 1959/60 Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Metallkunde.

 

 

Walter Deisinger muß ein für die Rüstungsindustrie unverzichtbarer Techniker gewesen sein. Obwohl er nach den Nürnberger Gesetzen als Mischling 1. Grades galt, scheint seine Karriere weder durch Verfolgung noch durch eine Einberufung unterbrochen worden zu sein. Im Nachlaß der bekannten Physikerin Berta Karlik sind dreiundvierzig Briefe und eine Postkarte von Walter Deisinger aufbewahrt. Sicher haben sie sich aus der Studienzeit in Wien gekannt und engen Kontakt gepflogen. Walter Deisinger ist 1988 gestorben.

 

Anna und Walter Deisinger waren Cousins ersten Grades zu Josefine Mittelberger, aber weder ihr Sohn Christof noch die Schwiegertochter Helga Mittelberger konnten sich erinnern, den Namen Deisinger jemals gehört zu haben.

 

Die folgenden Zeitungsausschnitte stammen aus dem Archiv der DIN-Gesellschaft. Offenbar wurde für die Qualität von Kopien noch keine Qualitätsnorm entwickelt.

 

aus "DIN-Mitteilungen"  Seite 453, Band 42 (1963)

Pressemeldung vom 19. Sept. 1973

 aus  "Frankfurter Neue Presse" vom 24. Mai 1969




Anfang Februar 2015 bekam ich von Stadtarchiv Hanau die Todesanzeige von Walter Deisinger zugeschickt. Am 2. Februar habe ich Walters Tochter Mädi- Hildegard telefonisch erreicht. Es war berührend. Sie hat von den vielen Schwestern ihrer Großmutter Adele gewußt, aber sie hatte keine Ahnung von ihrem Lebensweg.

Kontakt bestand zu den Rubnernachkommen in England. Herbert D. hat bei ihnen gewohnt, als er in Hanau ein Praktikum absolvierte.