Rosa Feigenbaum

Mit Rosa Feigenbaum begegnet uns die vielleicht schillerndste Persönlichkeit unter den Rubinkindern. Geboren am 1. Mai 1847 heiratet sie als Neunzehnjährige 1966 Emil Feigenbaum (geb. 1843). Wie ihre ältere Schwester Caroline Obst lebte das Paar zeitweise in der Schiffamtsgasse 5, Wien Leopoldstadt.

Am 10.11.1871 wird die Tochter Zerline geboren. Es folgen Friederich (1874-26.3.1879), Otto (1875-23.3.1879) und Elsa (1877-15.3.1879). Im März 1879 sterben innerhalb von elf Tagen die drei jüngeren Kinder vermutlich an Diphterie. Sie liegen auf dem Jüdischen Friedhof in Wien Währing begraben. Die älteste Tochter Zerline ist zu diesem Zeitpunkt acht Jahre alt, sie überlebt ihre fünf und vierjährigen Bruder sowie ihre zweijährige Schwester.

 

Emil Feigenbaum stirbt am 12. Februar 1909. Als letzte Adresse scheint in der Todesanzeige Wien I, Elisabethstraße 5 auf. Dort lebte auch Rosas jüngere Schwester Hermine Fabri mit Familie.

 

 

Zionistin und Frauenrechtlerin

 

Wo in Büchern und Zeitschriften auf Rosa Feigenbaum verwiesen wird, zeigt sich eine Frau, die sich den großen Themen ihrer Zeit verschrieben hat, der Emanzipation der Frauen, der sozialen Wohlfahrt und ganz besonders dem Zionismus. Sie reist durch Europa, hält Vorträge und schreibt Artikel für mehrere jüdische Zeitungen. Zwar findet sich kein unmittelbarer Beweis, aber sie muss zum engeren Kreis um Theodor Herzl, dem Begründer des politischen Zionismus, gezählt haben. Sie bemühte sich ganz besonders, die jüdischen Frauen für den Zionismus zu gewinnen. Diese zeigten in Wien offenbar kein überwältigendes Interesse. Nach einem Vortrag vor einer Versammlung der Wiener Zionistischen Frauen- und Mädchenvereine im Jahre 1901 wird sie in der Zeitschrift ‚Die Neuzeit‘ wie folgt zitiert:

 

„Woher sollen uns aber auch die die zionistisch gesinnten jüdischen Frauen kommen, da es doch hier so wenig jüdisch denkende und jüdisch fühlende Frauen gibt! Die Jüdische Frau muß darum zuerst dem Judenthume zurückerobert werden, …… Unsere moderne jüdische Frau versteht offenbar nicht, in welch bewegter Zeit sie lebt, wie Recht und Gerechtigkeit dem Juden gegenüber mit Füßen getreten werden, …. je besser ihre sociale Stellung, desto weniger fühlt sie sich als Jüdin. Sie spielt Vogel-Strauß-Politik und meint, daß es sie nicht angehe, … wenn in parlamentarischen Körperschaften Brandreden gegen die Juden ungerügt gehalten werden. Sie verkehrt ja mit so vielen Christen, die ihr schon so oft betheuerten: ‚Ja, wenn alle Juden wie Sie wären!‘ und sie schätzt sich glücklich, wenn sie sich herablassen, an ihrer reich besetzten Tafel Platz zu nehmen.“

 

Margarete Grandner und Edith Saurer, die Autorinnen des Buches „Geschlecht, Religion und Engagement“, in dem auch auf Rosa Feigenbaum Bezug genommen wird, betonen den Appell an die jüdische Frau, sich ihrer Identität bewusst zu werden, „indem sie als Erzieherin kommender Generationen wirke.“

Im Rückblick auf die Familiengeschichte hören sich diese Aussagen auch wie bittere Vorwürfe an ihre Schwestern Amalie, Jenny und Adele an, die konvertierten, um Christen zu heiraten.

 

Unter Bezugnahme auf die Diplomarbeit Elisabet Torgglers: Jüdische Frauenwohltätigkeitsvereine in Wien von 1867-1914 (Wien, 1999) finden sich im Online-Archiv von Ariadne Informationen zum von Rosa Feigenbaum mitbegründeten Verein "Israelitischer Frauen-Wohltätigkeitsverein "Frauenhort" für den Bezirk Alsergrund, Wien".

Gegründet 1893 (Wien IX, Müllnergasse 21) zählen zum Vorstand: Rosa Zifferer (Präsidentin), Regine Kopstein und Johanna Fröhlich (Präsidentin-Stellvertreterinnen), weiters im Vorstand: Clotilde Benedikt, Emma Pappenheim, Regine Bettelheim, Emilie Quittner, Philippine Bauer, Cäcilie Bunzl, Sofie Deutsch, Therese Geisenheimer, Philippine Gelbhaus, Fanni Gintl, Ida Hiller, Anna Hirsch, Leonore Kohn, Paula Landau, Jeanette Schefftel, Antonie Schnepp, Betty Thalberg, Risa Thalberg.

 

Rosa Feigenbaum war auch Schriftführerin des Vereins, dessen Zweck es war "(a) Die materielle Aushilfe bei eventuell sich ergebender Notlage armer Wöchnerinnen oder durch Krankheit oder sonstige Unglücksfälle erwerbsunfähig Gewordener; (b) die alljährliche Bekleidung armer, schulpflichtiger Kinder zu Beginn der Winterszeit. Hierauf haben jedoch nur Bewerber, welche im IX. Bezirke wohnen, Anspruch." (aus: Wohltätigkeits-Vereine Wien)

 

Dokumente:

Jahresbericht des "Frauenhort", israelitischer Frauen-Wohlthätigkeits-Verein im Bezirke Alsergrund in Wien. - Wien : Steyrermühl, 1900-

Bestand: Jg 7.1900, 10.1902-14.1906, 18.1910; Signatur: 405328-B.Per; Online bei ALO

 

 

Alison Rose erwähnt Rosa Feigenbaum in ihrem Buch "Jewish Women in Fin de Siècle Vienna" (Austin: University of Texas Press, 2008, S. 115 f.):

 

Rosa Feigenbaum (1853-1912), a Viennese Zionist, a delegate at the sixth Zionist Congress, a leader in Jewish charity work, and a regular contributor to the Österreichische Wochenschrift and the Neuzeit, two prominent liberal Jewish newspapers, as well as the feminist newspaper Neues Frauenleben, addressed a gathering of Viennese Zionist women and girls in 1901. One of the few women who crossed over into both the Jewish and the feminist worlds, she argued in her speech that Jewish women could be immensly important to Zionism. Just as women assisted semi-Semitic leaders such as Fürst Liechtenstein and Karl Lueger, so Jewish women could prove valuable if they put themselves into service of the movement. 

She asserted that the rise in anti-Semitism necessitated a more politically assertive role for women. For example, when a decree introduced the division of children in the schools according to confession in 1888, she had suggested to a well-known, respected Jewish women that a meeting should be called to protoest against the "Judenclassen". The women answered, "What are you thinking of, what is that to us women, not even reasonable men are concerned with such a thing!"

 

And still, many other women with whom I have fostered discussions about this concern [division of children in schools according to confession], answered in the same way. "What is it to us?" With this they dismissed it. The Jewish women today does not feel the pulse of public life, she does not see that we live in a time where the women must also take a stand, and know the relevant questions that are the mainspring of Judaism. This women is not worthy of the name "Jewess".

 

She criticized Jewish women for not understanding that extreme times demanded them to become politically engaged. She admonished women who did not react when a school association announced a condidtion for filling the position of a teacher as "Christian confession" and for working with the wife of a known anti-Semite in organizing a ball. She continued her speech as follows.

 

And these women are not red with shame! Our modern Jewish woman apparently does not understand, in which agitated time she lives, as right and justice of the Jews is stepped on, she does not hear the "Hepp, Hepp" call and does not see the "yellow patch" that one wants to pin on her again; and she has lived with Tisza-Eszlar and Xanten, Konitz and Polna. But the better her social position, the less seh feels herself a Jewish women. She has an ostrich-like attitude and is of the opinion that it is not her business, if one tied up the life thread of our poor peddlers, if in parliamentarian bodies inflammatory addresses are held un-censured against the Jews. She turns the other way with so many Christians, who so often assure her: "Yes, if alle the Jews wer like you!" and she is delighted, when they lower themselves to take their place at her richly set table. 

 

Feigenbaum's assertive Jewish identity coupled with her feminist inclinations led her to argue for women's need to become political. She appealed to women to work for Zionism in order to create a home for hundreds of thousand of poor Russian, Polish, and Romanian Jews. Her Zionism did not reject the Diaspora, but asserted that Jewish women should be proud of their heritage and come to the assistance of less fortuante Jews. "The Jewish women should and must learn above all, to feel herself as a Jewish women and to hold Judaism high. Then national thinking will also take root deep in the Jewish people because it is only the wmen who educates the people." The incorporation of the notion of women's special role as educator demonstrates the influence of the notion of femininity on her outlook. 

 

 

 

 

 

aus „Die jüdische Welt“ 14. 12. 1903

 

 

 

 

 

 

Journalistin

 

Die Erscheinungsdaten ihrer Artikel in der Zeitschrift „Neues Frauenleben“ legen die Vermutung nahe, dass Rosa bereits seit mindestens 1906 in Paris lebte. In der von Zeitschrift „Neues Frauenleben“ erschien 1907 ein Artikel Feigenbaums mit dem Titel „Die Pariser Suffragettes“, in welchem sie auf die zeitgenössischen Entwicklungen im Kampf um Rechte für Frauen aufmerksam machte. Feigenbaum berichtet vom Besuch einer Abordnung der Vereinigung „Solidarité des femmes“ und ihrer Präsidentin Madeleine Pelletier im Pariser Palais Bourbon, dem Sitz der Nationalversammlung. Ihr Bestreben, Frauen das Wahlrecht zu ermöglichen, wurde von den Sozialisten unter Jean Jaurès positiv aufgenommen und diskutiert. Den Sozialreformer Jaurès zitiert Feigenbaum folgendermaßen:

 

„Jaurès erwidert in liebenswürdiger, temperamentvoller Weise. Er erklärt sich mit den Bestrebungen der Frauen für politische Gleichberechtigung vollkommen einverstanden, hält die Zeit für gekommen, das Frauenstimmrecht in der Kammer zu beantragen und verspricht, dies demnächst zu tun. (...) Auch die anderen Abgeordneten versicherten die Frauen ihrer vollsten Sympathie für ihre Bestrebungen, die in der Worten des letzten Redners gipfelten: Citoyennes, il n’y pas de question féministe, il a a seulement une question sociale!“

 

Dass Feigenbaum durch ihre Tätigkeit als Journalistin und ihre wiederholten Berichte über die französische Frauenbewegung womöglich in persönlichem Kontakt mit Madeleine Pelletier war, ist höchst interessant. Pelletier (1874-1939) war eine französische Ärztin und Psychiaterin, die als eine der einflussreichsten Feministinnen und Sozialistinnen vor Simone de Beauvoir gilt. Ab 1906 Mitarbeiterin der Organisation „Solidarité des femmes“ etablierte sie diese als radikale Organisation im Kampf um den Erhalt von Rechten für Frauen. Sie wirkte als Herausgeberin von „La suffragiste", schrieb Artikel und kämpfte u.a. durch ihre Schriften für die Geburtenkontrolle und das Recht auf Abtreibung. Als besonders fortschrittlich kann ihre Sichtweise gesehen werden, dass das Recht auf Abtreibung mit dem Recht einer Frau über ihren eigenen Körper in Zusammenhang gesehen werden kann. Pelletier nahm somit bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts die 1971 von Alice Schwarzer initiierte Stern-Aktion „Wir haben abgetrieben!“ vorweg, die ihrerseits einen Artikel desselben Jahres in der Wochenzeitschrift Nouvel Observateur zum Vorbild hatte, in dem 324 Französinnen sich zu einer Abtreibung bekannten und das Recht dazu für alle Frauen forderten.

 

Eva Klingenstein zählt die Zeitschrift „Neues Frauenleben“, in der viele von Rosa Feigenbaums Artikel erschienen, neben „Dokumente der Frauen“ zu einem von zwei expliziten Beispielen der „emanzipatorischen Vereinspresse, die die Forderungen der wiederauflebenden bürgerlichen Frauenbewegung nach freier Persönlichkietsentfaltung, Beruf und Bildung, nach wirtschaflticher, sozialer und politischer Gleichstellung mehr oder weniger offensiv artikuliert.“

 

 

Beiträge von Rosa Feigenbaum in der Zeitschrift „Neues Frauenleben“

  • Die Pariser Suffragettes (19. Jg., Nr. 2, 1907)
  • Die Sittlichkeitsfrage in der französischen Literatur (20. Jg., Nr. 9, 1908)
  • Mme Curie (23. Jg., Nr. 2, 1911)
  • Die Frauenbewegung in Frankreich. (23. Jg., Nr. 3, 1911)
  • Die Frauenbewegung in Frankreich. Schluß (23. Jg., Nr. 4, 1911)
  • Französische Advokatinnen (24. Jg., Nr. 10, 1912)

 

Die Artikel können in der nachfolgenden Fotogalerie aufgerufen werden.  

 

In Paris

 

Rosa Feigenbaum stirbt am 30. Oktober 1912 in Paris und wird auch dort begraben. Erst zehn Jahre später wird sie enterdigt und in das Familiengrab auf dem Wiener Zentralfriedhof überführt. Aufgrund dieser Überführung findet sich in einem Beitrag über Rosa Feigenbaum als Frauenrechtlerin im Archiv Ariadne der Österreichischen Nationalbibliothek das „falsche“ Todesdatum 10.2.1922. Begraben wurde sie in Wien im Grab ihrer Eltern Rebekka und Naftali Aschkenasy am Zentralfriedhof.

Die Todesanzeige in der Neuen Freien Presse enthält die Information, dass Rosa Feigenbaum, geb. Rubin „am 30. Oktober 1912 im Alter von 65 Jahren nach kurzer, schwerer Krankheit sanft entschlummert ist. Paris, 3. November 1912. 5, Rue Choron. Zerline Fabri.“

 

Als einzige Unterzeichnende fungiert ihre Tochter Zerline, die den Nachnamen ihrer Tante Hermine Fabri angenommen hatte. Ob Zerline, die ebenfalls als Zionistin aktiv war und 1929 in Madrid und Barcelona leben sollte, 1912 gemeinsam mit ihrer Mutter in Paris lebte ist unklar. Belegt ist, dass sie 1922, zum Zeitpunkt der Überführung des Leichnams ihrer Mutter nach Wien, zwölf Kisten mit Hausrat nach Wien bringt, die bei ihrer Tante Hermine Fabri gelagert werden (diese erwähnt die Kisten in ihrem Testament vom 18.3.1929).

 

In der Zeitschrift „Der Bund - Zentralblatt des Bundes österreichischer Frauenvereine“ erschien 1913 ein Nachruf auf Rosa Feigenbaum (Der Bund, 8. Jg., Nr. 2, 1913, S. 14):

 

"Rosa Feigenbaum +. Vor einigen Wochen verschied in ihrem 60. Lebensjahr in Paris die Wiener Schriftstellerin und Philantropin Frau Rosa Feigenbaum, die sich auch auf verschiedenen Gebieten der Frauenbewegung in Wort und Tat eifrig und erfolgreich betätigt hat. Von ihr ist der Gedanke der Erholungskolonien für Arbeiterinnen in Oesterreich propagiert worden, welchen Gedanken der Wiener Verein "Frauenhort", dessen Mitbegründerin und erste Schriftführerin Rosa Feigenbaum gewesen, durch die Errichtung des "Kaiser Franz Josef-Arbeiterinnen-Erholungsheim" in Seebenstein im Jahr 1908 verwirklichte. Die Früchte ihrer segensvollen Tätigkeit werden die tatkräftige und warmherzige Frau lange überleben, und ihr Andenken wacherhalten."

 

Rosa Feigenbaums letzte Wohnadresse Rue Choron befindet sich – recht zentral – im 9. Arrondissement von Paris. 

 

Was Rosa Feigenbaum beispielsweise von den Pariser Ereignissen des Jahres 1912 miterlebt hatte, lässt sich selbstverständlich nicht mit Sicherheit sagen. Als politische Person und engagierte Frauenrechtlerin hat sie sich jedoch mit großer Wahrscheinlichkeit für die Geschehnisse ihrer Zeit interessiert. Dazu gehörten 1912 in Paris: im März gelang dem französischen Piloten Henri Seimet innerhalb von drei Stunden ein Non-Stop-Flug von London nach Paris, im Mai hatte Claude Debussys „L’après-midi d’un faune“ Premiere, einen Monat darauf Ravels „Daphnis und Chloe“. Beide Ballette wurden als Choreographien von Nijinsky aufgeführt und wurden kontroversiell diskutiert. Pablo Picasso setzte sich mit dem Kubismus auseinander und     lebte um 1912 in einer Atelierwohnung am Boulevard de Clichy 130, 20 Gehminuten von der Rue de Choron entfernt. Am 21. März erschien Marcel Prousts „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ als Fortsetzungsroman in der Tageszeitung „Le Figaro“. Gertrude Stein lebte 1912 an der Adresse 27, Rue de Fleurus.  

 

Sofern Rosa Feigenbaum sich bereits 1911 in Paris aufgehalten hatte, hatte sie vermutlich die öffentlichen Diskussionen in den Zeitungen verfolgt, die von Marie Curies Affaire mit Paul Langevin und einer Serie von Einbrüchen in den Louvre berichteten. Im September 1911 saß der Dichter Guillaume Apollinaire einige Tage lang im Gefängnis weil er verdächtigt wurde, in Zusammenhang mit verschiedenen Diebstählen im Louvre zu stehen, darunter jener der Mona Lisa vom 21. August, die schlussendlich erst im Dezember 1913 in Florenz wieder auftauchte. Zuvor hatten Apollinare und Picasso zwei 1907 als Raubgut erworbene Skulpturen an den Louvre retourniert, die sie über einen Mann namens Géry Pieret, der zeitweilig in Apollinaires Wohnung gewohnt hatte, erhalten hatten.